Die Inflation der Bio-Siegel

Die CMA wünscht ein Qualitätssiegel / Ökoverbände warten ab / Von Georg Giersberg

FRANKFURT, 5. November. Damit es einfacher wird, muß es kompliziert werden. Zwei zusätzliche Siegel sollen vom kommenden Jahr an dem Verbraucher die Suche nach Qualitäts-Lebensmitteln erleichtern. Die Bundesverbraucherministerin Renate Künast hat ein Siegel ins Leben gerufen, das mit dem Wort Bio in einem Sechseck (Wabe) anzeigen soll, daß das Produkt der Öko-Verordnung der Europäischen Union entspricht. Diese Verordnung ist schon von 1991, sie ist aber hierzulande nie so richtig ins Bewußtsein der Verbraucher gedrungen. In Italien beispielsweise ist der dazugehörige grünblaue Kreis mit den EU-Sternchen als Qualitätssiegel viel bekannter.

Diese EU-Verordnung hat das Ziel, einheitliche Kriterien für ökologische, also naturnahe Produkte und Produktionsweisen aufzustellen. Das ist nicht das erste Zeichen dieser Art. Die Stiftung Warentest in Berlin hat mehr als 100 Biozeichen in Deutschland gezählt. Die bedeutendsten sind die der klassischen Ökoverbände. Dazu zählt der anthroposophisch (Rudolf Steiner) ausgerichtete Verband Demeter mit 1400 Betrieben, oder der Verband Bioland mit fast 4000 Betrieben.

Wer keine Ideologie mitkaufen möchte, findet Lebensmittel aus ökologischem Landbau unter dem Namen Naturland. Naturland ist hierzulande mit knapp 1400 Mitgliedsbetrieben und 55 000 Hektar Nutzfläche der zweitgrößte Erzeugerverband in der ökologischen Landwirtschaft nach Bioland (130 000 Hektar) und vor Demeter (50 000 Hektar). Er ist aber der einzige, der die Bestimmungen der IFOAM (International Federation of Organic Agriculture Movements) erfüllt. Das lenkt das Augenmerk in das Ausland, denn ökologischer Anbau ist durchaus kein deutsches Alleinstellungsmerkmal. Deutschland ist zwar mit 2,7 Milliarden Euro Bioumsatz im Einzelhandel der größte Markt für Ökoprodukte, aber in der Produktion liegt Italien beispielsweise höher. Dort wird allerdings kaum etwas davon verzehrt, fast alles geht in den Export. Dafür gibt es in Italien drei Verbände, die die IFOAM-Kriterien erfüllen. Naturland trägt über die IFOAM, aber auch über eigene Mitglieder in aller Welt und über die Kooperation mit der Gepa Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt den Ökologiegedanken rund um den Erdball.

Neben den überregionalen Organisationen verleihen regionale Verbände Ökosiegel. Dazu gehören Biokreis e.V. mit Schwerpunkt in Ostbayern, Gäa Ökologischer Landbau für Betriebe in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Berlin, Biopark inzwischen für ganz Deutschland, aber immer noch mit Schwerpunkt in in Mecklenburg-Vorpommern oder Ökosiegel für niedersächsische Agrarunternehmen. Spezielle Ökozeichen für bestimmte Teilgebiete sind EcoVin für Wein aus ökologischem Anbau oder Neuland als Verein für tiergerechte und umweltschonende Nutztierhaltung. Wem Verbandsarbeit nicht liegt, versucht es mit einem eigenen Verbund. Der Bauer Paul Etzel sammelt ökologisch arbeitende Landwirte unter dem Label Blütenkranz Naturkorn in Hessen und im Umland von Berlin um sich.

Geht der Verbraucher in seinen Supermarkt, begegnen ihm dort neben diesen erzeugerorientierten Siegeln vor allem jene, die sich die Einzelhandelsketten als Ökomarken zugelegt haben. So verkauft die Metro in ihren Real-Warenhäusern Wurst, Obst, Gemüse und Milchprodukte unter der Marke Grünes Land. Es garantiert Einhaltung der EU-Öko-Verordnung und darüber hinaus die Herkunft von einem anerkannten Bauernverband wie Bioland, Demeter oder Naturland. Die Herkunft aus kontrolliert biologischem Anbau - die Stiftung Warentest nennt diese nicht geschützte Bezeichnung eine Mogelpackung ähnlich den Aufschriften naturnah oder alternativ - garantieren die Handelsmarken Pro natur (bei der Lebensmittelkette Spar), Füllhorn (Rewe), Naturkind (Tengelmann) oder Bio Wertkost (Edeka).

Die Fülle der Zeichen kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß in Deutschland lediglich 3 Prozent aller Lebensmittel aus ökologischer Produktion stammen. Das spricht einmal dafür, daß sich die vielen Öko-Label bisher nicht richtig durchsetzen konnten - auch, weil sich die Verbände nicht immer grün sind. Das will Frau Künast ändern. Mit 15 Millionen DM Werbung soll das neue Bio-Siegel im Markt bekannt gemacht werden und den Marktanteil der Ökoprodukte auf 20 Prozent erhöhen. Das sieht man in der Ökobranche mit gemischten Gefühlen, da noch offen ist, ob das zu einem Durchbruch und zu einem Erfolg für alle Ökosiegel führt oder ob das neue Bundessiegel die anderen (teilweise strengere Kriterien erfüllenden) Siegel vom Markt verdrängt.

Zuwarten wollen nicht die überwiegende Mehrzahl der traditionellen Landwirte. Sie möchten erst gar nicht den Eindruck aufkommen lassen, daß "ökologisch" etwas qualitativ Besseres ist - und haben deshalb über die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) ein eigenes Qualitätssiegel kreiert, dessen QS auch vom kommenden Frühjahr an solche Produkte schmücken soll, deren Herstellungsprozeß transparent und von durchgängig hoher Qualität ist. Nach den Worten eines CMA-Sprechers bedeutet dies eine lückenlose Dokumentation vom Acker bis zur Ladentheke, Kontrollen der Produktion durch unabhängige Prüfer, Verzicht auf antibiotische Leistungsförderer und der Nachweis eines ständigen Vertragstierarztes. Dieses Siegel könnte nach den Vorstellungen der CMA ein Grundsiegel für deutsche Nahrungsmittel werden, auf dem dann lokale (Fleisch aus Bayern), Produktions- und inhaltsorientierte (Naturland, Demeter) oder qualitätsorientierte (CMA-Gütezeichen)Siegel aufsetzen.


Aus Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.11.2001

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