BSE-Risiko für Menschen überschätzt?

Die neue Variante der tödlichen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die im allgemeinen auf den Verzehr prionenhaltigen Rindfleisches zurückgeführt wird, könnte viel weniger Todesopfer fordern als häufig befürchtet. Eine französisch-britische Forschergruppe hat berechnet, daß allenfalls etwa 200 Menschen an diesem Hirnleiden sterben werden. In bisherigen Schätzungen war von bis zu 136000 Todesopfern die Rede. Daß die Angaben derart auseinanderklaffen, zeigt wie groß die Wissenslücken sind. Weder kennt man die Inkubationszeit noch die Zahl der mutmaßlich infizierten Menschen.

Der Pariser Epidemiologe Alain-Jacques Valleron und die anderen Forscher - unter ihnen der britische BSE-Experte Robert Will - haben nun eine Inkubationszeit von rund 17 Jahren berechnet. Sie stützten sich dabei auf die Annahme, daß knapp eine halbe Million mit dem BSE-Erreger infizierte Rinder in die Nahrungskette gelangt sind, ehe im Jahr 1989 wirksame Vorsorgemaßnahmen in Kraft traten. Praktisch alle Infektionen von Menschen seien daher zwischen 1980 und 1989 erfolgt. Bis Mai 2001, dem Zeitpunkt, an dem die jetzt in der Zeitschrift "Science" (Bd. 294, S. 1726) veröffentlichte Studie verfaßt wurde, sind 97 Fälle der Krankheit dokumentiert worden (inzwischen sind es 111 gesicherte und wahrscheinliche Fälle). Aus der Zeit der Infektion, der Zahl der Erkrankungen und dem Durchschnittsalter der Patienten - es liegt bei nur 28 Jahren - errechneten die Forscher dann die Inkubationszeit. Gestützt auf diese Daten konnten sie dann auch die Zahl der zu erwartenden Todesopfer ermitteln. Sie dürfte 205 nicht überschreiten. Der Gipfel bei der Zahl der jährlichen Erkrankungen wäre demnach bereits erreicht.

Daß es nicht schlimmer gekommen ist, hängt nach Überzeugung der Forscher damit zusammen, daß BSE-Prionen des Rindes vor der Infektion des Menschen eine hohe Artenschranke überwinden müssen. Das Risiko zu erkranken scheint auch genetisch bedingt zu sein. Jedenfalls erwies sich das Gen für das körpereigene Prion-Protein bei allen bisherigen Opfern an einer Stelle (Kodon 129) als homozygot für die Aminosäure Methionin. Über diese genetische Ausstattung verfügen etwa 40 Prozent der Bevölkerung.

R.W.

Aus Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.11.2001

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