China ist schon ein Biotech-Riese

Große Allianz von Staat und Forschung forciert grüne Gentechnik

Allzu oft wandern die Blicke, wenn es um Gen- und Biotechnik geht, nach Westen. Die Vereinigten Staaten gelten - sicher nicht zu Unrecht - als das geistige Zentrum und das ökonomische Dorado der Biowissenschaften. Aber allzu leicht übersieht man dabei, daß die neuen Techniken in anderen Erdteilen eine vielleicht noch viel größere Anziehungskraft auszuüben vermögen, die über kurz oder lang zu fundamentalen Verschiebungen in den wissenschaftlichen wie auch in den wirtschaftlichen "Machtverhältnissen" führen könnte. Eine solche Veränderung läßt sich nach Auffassung amerikanischer und chinesischer Wissenschaftler derzeit mit der Einführung der grünen Gentechnik, also der Herstellung transgener Nutzpflanzen, beobachten.

Wie die Wissenschaftler in der gestrigen Ausgabe der Zeitschrift "Science" (Bd. 295, S. 674) berichten, hat sich China in den vergangenen vier Jahren aufgemacht, auf diesem Gebiet die "größte biotechnologische Kapazität außerhalb Nordamerikas" aufzubauen. Die Gruppe um Jikun Huang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften hat offizielle Statistiken ausgewertet und Umfragen bei Industrie und Forschungseinrichtungen in neun Provinzen und Großstädten vorgenommen. Außerdem wurden an die dreihundert Kleinbauern im Norden Chinas befragt.

Die Ergebnisse dieser Studie sind in ihrer Deutlichkeit durchaus überraschend. Denn China hat sich in seinem Engagement für die grüne Gentechnik nicht nur von allen anderen, ähnlich technikbegeisterten Entwicklungs- oder Schwellenländern wie Brasilien oder Indien deutlich abgesetzt. Das Land ist offensichtlich sogar dabei, vielen Industrieländern in dieser Hinsicht den Rang abzulaufen. Schon jetzt gibt das Riesenreich mehr als 112 Millionen Dollar jährlich für die Pflanzenbiotechnologie aus - soviel wie nur wenige Industrieländer. Und wenn die Regierung ihre Programme verwirklicht, wird China im Jahre 2005 jede Dritte Mark, die die Staaten weltweit in diese Branche investieren, in China ausgegeben. Dabei begann die Begeisterung für die Biotechnik in Chinas landwirtschaftlicher Elite in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Damals haben einzelne staatliche Labors die ersten gentechnischen Experimenten vorgenommen. Inzwischen werden dort mehr als fünfzig unterschiedliche Pflanzenarten und an die 120 landwirtschaftlich interessante Gene für die Herstellung transgener Sorten genutzt. Nirgendwo auf der Welt gibt es diese Vielfalt. Das größte Interesse haben in den vergangenen Jahren Erbanlagen geweckt, die den Farmern Vorteile bei der Bearbeitung bringen, hauptsächlich also Gene, die den Pflanzen Resistenzen verleihen gegen verschiedene Schädlinge und Krankheitserreger. Nirgends sammelt man derzeit mehr Erfahrung als in China. Mehr als 90 Prozent der Feldversuche betreffen resistente Sorten. Eine vielversprechende Reissorte, der man gleich Erbanlagen gegen drei der wichtigsten Schädlinge in China eingebaut hat, wird seit zwei Jahren im Freiland erprobt. Daß der Reis schon bald auch vermarktet wird, gilt offenbar als recht wahrscheinlich. Die Behörden jedenfalls sind der Biotechnik gegenüber sehr aufgeschlossen: Von 353 Anträgen auf Freisetzungen oder Vermarktung, die allein in den Jahren 1996 bis 2000 eingereicht wurden, sind fast zwei Drittel in kürzester Zeit genehmigt worden.

Mittlerweile wird das Saatgut von 31 transgenen Pflanzen den Bauern im Land zum Kauf angeboten. Besonders stark ist die Nachfrage bei den Baumwollpflanzern. 1997 wurden Baumwollsorten, die durch Einschleusen des Toxingens aus Bacillus thuringiensis schädlingsresistent gemacht wurden, auf gerade einmal 2000 Hektar im ganzen Land angebaut. Mittlerweile sind es mehr als 700 000 Hektar. Zwei Gründe gibt es nach Ansicht der Forscher für das große Interesse: Erstens sparen die Bauern große Mengen an Pestizide - im Durchschnitt spart ein Farmer rund 50 Kilogramm Pflanzenschutzmittel pro Hektar Das entspricht etwa 760 Dollar im Jahr. Zum anderen profitieren sie offensichtlich auch gesundheitlich davon. Jene Bauern jedenfalls, die transgene Pflanzen anbauen, gaben in der Umfrage viel seltener an, unter Kopfschmerzen, Nasen- und Lungenreizungen sowie Verdauungsproblemen zu leiden wie die häufiger Pestizide sprühenden Kollegen.

JOACHIM MÜLLER-JUNG

Aus Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.01.2002

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