Wende zum Guten?

Artikel von Prof. Dr. Peter Michael Schmitz. FAZ 23.5.01 ,S. 14.

Prof. Schmitz setzt fort, was die ganz große Mehrzahl der Agrarwissenschaftler immergetan hat: Mit vielen Argumenten beteuern, dass die Agrarwelt in bester Ordnung sei. Schließlich stammen Geist und Inhalt der üblichen Landwirtschaft in erster Linie von ihnen.Gewiss gibt es viele Verbesserungen wie etwa die Zulassungsbedingungen für Betriebsmittel. Aber die mussten der Landwirtschaft mitsamt ihren Professoren von der Politik durch Gesetze aufgezwungen werden. Ökonomisch im unmittelbaren Sinne der Betriebswirtschaft waren die Auflagen nie, denn ihre Ermöglichung und Durchführung ist teuer. Nie kamen diese Verbesserungen von den Landwirtschaftswissenschaftlern, also den eigentlichen Fachleuten. Erst wenn es Forschungsgeld gab, zogen sie mit. Die wenigen Außenseiter unter ihnen, für die das nicht gilt, wurden bekämpft.

Der erste, der eine Veränderung bewirkte, war ein Mediziner, Prof. Eichholz 1956, mit seinem Buch "Die toxische Gesamtsituation auf dem Gebiet der Ernährung". Er bezeichnete die Wirkung der Zusatzstoffe zu Lebensmitteln als eine unbekannte Wissenschaft. Das führte zu unserem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz. Die Nächste war die freie Autorin und Biologin Rachel Carson in USA, 1962 mit ihrem Buch "Der stumme Frühling". Herren der Wissenschaft verkündeten sowohl in USA als in Europa groß, dass dies alles nicht stimme. Es führte zu unserem Pflanzenschutzgesetz von 1966. Das war der aufgezwungene Beginn der Entwicklung einer Umweltchemie. Die chemischen Sünden der Landwirte, immer in dem hehren Gewand der wissenschaftlicher Begründungen ausgeführt, waren abenteuerlich. Im Laufe der Jahrzehnte mussten noch und noch vorher zugelassene Mittel verboten werden. Das war für die Gesellschaft sehr sehr teuer. Aber die riesigen Schäden, die in der Welt erzeugt wurden, haben nie die Landwirte bezahlt, nie die Hersteller der Mittel und erst recht nicht die Professoren der Ökonomie und des Pflanzenschutzes.

Die Herren der wissenschaftlichen Tierpharmazie fielen aus allen Wolken, als 1983 seitens des Gesetzgebers damit ernst gemacht wurde, die Rückstände von Tierarzneimitteln in von Tieren summenden Lebensmitteln schon bei und nach der Anwendung zu berücksichtigen. Obwohl das Entsprechende im Pflanzenschutz schon mehr als ein Jahrzehnt in der Welt war, hatte von ihnen schlicht keiner daran gedacht. Längst war das Problem der Resistenzbildung von Mikroorganismen und ihrer Übertragbarkeit auf andere Bakterienarten bekannt, aber die Anwendung bei der Fütterung ging munter weiter. Natürlich wegen der Ökonomie, die nach hoher wissenschaftlicher Meinung doch alles am besten selbst regelt.

Überall stiegen die Nitratgehalte im Grundwasser an, aber die Düngung war aus dem Munde der Wissenschaftler doch bestens in Ordnung (z.B. lufakongress 1978 in Augsburg). Im Durchschnitt der alten Bundesrepublik wurden 1OO kg Stickstoff pro Hektar mehr gedüngt als von den Pflanzen entzogen! Viele Jahre! 1973 brachen viele Getreidebestände ohne Unwetter zusammen. Im trockenen Winter waren die Stickstoffüberschüsse nicht ausgewaschen worden. Kein Wissenschaftler hat gewarnt. Es entstand eine mächtige Überdüngung. Niemand machte eine Nährstoffbilanz der Ackerflächen oder Betriebe auf, keiner in einer ganzen Fakultät für ihren eigenen Betrieb (von mir in drei prominenten Fällen selbst geprüft), ökonomisch schlägt das kaum zu Buche, weil der Stickstoff so billig ist. Er müsste 6x teurer sein, als er ist, rechnete Prof. Weinschenk vor. Die Wasserwirtschaff musste auf die Barrikaden gehen, damit sich bei der Stickstoffdüngung etwas änderte. Heute ist der Stickstoffeintrag über die Luft in die Wälder für diese ein großes Problem. Er kommt ganz überwiegend aus der Landwirtschaft. Das Bonner Landwirtschaftsministerium musste eine Düngungsverordnung erlassen, in welche den Landwirten vorgeschrieben wurde, was vernünftig ist und immer schon bekannt und vernünftig war. Aber die Hochschulen und Schulen, mit ihren studierten Lehrern und Beratern hatten es den Bauern ausgetrieben. Allen voran die Ökonomen.

Das sind wichtige Stationen auf dem Weg, auf welchem manche "neuere Erkenntnisse einer umweltschonenden nachhaltigen Landbewirtschaftung" Einzug in die übliche Landwirtschaft gefunden haben. Soll man wirklich nicht von einer konventionellen Landwirtschaft sprechen? Von konventionellen Professoren muss man unbedingt sprechen. Was mit "industrieller Landwirtschaft" gemeint ist, kann man nicht an der Zahl der Mitarbeiter festmachen. Das stimmt. Könnte sich ein Wissenschaftler nicht positiv fragen, was gemeint sein könnte, wenn er um Erkenntnis bemüht ist? Gemeint ist:

1. Wenn Tiere lediglich als Produktionsfaktoren und nicht als Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen und Gefühlen betrachtet und behandelt werden.

2. Wenn die Landwirtschaft ihre Produktionsmittel weitgehend kauft und auf diese Weise immer mehr aus dem Umsatz produziert. Sie ist ihrem Wesen nach jedoch Urproduktion und unterscheidet sich darin grundsätzlich von der Industrie.

3. Wenn vergessen wird, dass in der Landwirtschaft Menschen, Maschinen und Gebäude nichts produzieren können, wie in der Industrie. Denn Pflanzen und Tiere, Lebewesen. sind die Produzenten.

4. Wenn vergessen wird, dass die Zukunft einer Landwirtschaft in der Hauptsache nicht über das Kapital gewonnen wird, das man reinvestiert. Es in kräftiges, gesundes Saatgut, sind es gesunde Kälber u.a. Jungtiere die neben der Nahrungserzeugung auch durch die Lebewesen entstehen müssen. Nicht das Geld sondern die Reproduktion der Lebewesen und deren Gesundheit sind das eigentliche Zukunftskapital der Landwirtschaft. Andernfalls wird man in der Zukunft keine Produzenten haben. Das gilt auch für die Böden. Denn Böden bleiben nur fruchtbar, wenn sie ständig neu entstehen. Das ist in erster Linie eine Frage des Bodenlebens und des Humus, für dessen Vorhandensein der Landwirt sorgen muss. Die meisten Kulturpflanzen gedeihen aus der Mineralisation, d.h. aus dem Abbau des Bodens. Was in der Landwirtschaft produziert und was die Voraussetzungen der Zukunft schafft, hat nicht der Mensch gemacht und wird es auch mit aller Gentechnik nicht machen.

5. Wenn vergessen wird, dass Leben etwas Selbständiges ist, aus eigener Kraft existiert und Selbstheilungsfähigkeit besitzt, die man als solche fördern muss. Das wirkt zunächst immer verteuernd. Daher wirkt die Kurzzeitökonomie, welche den Markt bestimmt, immer zerstörerisch. Wenn man mit den vielen Mitteln, die man kaufen kann, herausholt, was nur geht, macht man das Leben kaputt. Alle Stützungsmaßnahmen, die dann nötig werden und die man heute auch kaufen kann, helfen nicht auf Dauer. Man braucht dann immer mehr.Das ist die Situation. Die Ökonomie und der Markt sind auch hier die großen Verführer und sehr oft die Tyrannen. Der rücksichtsloseste Ausbeuter der Natur und der Menschen kann immer am billigsten anbieten. Durch Unterbieten werden die Bauern gezwungen zu tun, was sie nicht wollen.

6. Wenn vergessen wird, dass in der Landwirtschaft alles mit allem zusammenhängt, auch dann wenn man den Zusammenhang nicht hergestellt hat und nichts davon weiß. Nur bei Maschinen wirkt nur dann etwas zusammen, wenn es der Mensch herstellt. Was kann man unter Massentierhaltung verstehen? Wenn man mehr Tiere hält als man mit dem Bewusstsein erfassen kann und alle Tierversorgung mit Automaten erfolgt, und der Mensch z.B. nur noch dazu da ist, täglich die toten Tiere aus den Käfigen zu holen, wie bei den Hühnern. Dafür gibt es noch keine Automaten. Das widerspricht nicht nur dem Tierschutz sondern auch der Menschwürde dessen, der es tun muss. Doch so entstehen die billigsten Eier. Wenn man mehr Tiere hält als man mit eigenem Futter ernähren kann. Dann muss man Futter zukaufen. Niemand kann wirklich beurteilen, was er kauft, wenn lediglich Nährstoffangaben deklariert werden. Doch niemand füttert Nährstoffe sondern Pflanzen, Pflanzenteile und z.B. eingemischtes Tierkörpermehl. Die Futtermittelindustrie kommt gut ins Geschäft. Der Überschuss der Ausscheidungen der Tiere wird zum Problem der Böden, der Futtergewächse, des Grundwassers, der Flüsse und Seen, der ganzen Landschaft und der Luft. Das ist in großen Landschaftsteilen Deutschlands der Fall. Das ist keine Frage der Betriebsgrößen.

"Dem Verbraucherschutz ist am besten durch eine konsequente Marktorientierung gedient". Wie bitte? Die Verbraucher sollen gefälligst kaufen, was man ihnen anbietet und das ist das Beste für sie? Z.B. BSE-Fleisch? Nicht einmal die wissenschaftlichen Experten können es sicher erkennen. Bisher denke ich, dass es ohne Verbraucher vielleicht ein Angebot aber keinen Markt gibt, und dass Kaufen die Wieder-Produktion dessen auslöst, was gekauft wird. Daher hat der Verbraucher einen entscheidenden Einfluss auf das, was die Landwirte in unseren immer noch schönen Landschaften künftig tun und was wir zu essen bekommen werden. Wer soll ihnen ein Bewusstsein dieser Mitverantwortung beibringen, diesie auf jeden Fall haben? Der Markt? Wer am meisten Geld hat, kann am lautesten schreien und den Verbraucher durch schöne Werbung an der Nase herum führen.

Verfasser: Dr.Wolfgang Schaumann  61118 Bad Vilbel

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