Vom Acker frisch auf den Tisch

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Die Gen-Ernte muss in die Nahrungskette gelangen, fordert Agroexperte Dieter Wißler. Ein ZEIT-Gespräch
von Jutta Hoffritz (Gesprächsführung)

DIE ZEIT: Vor einem Jahr hat der Bundeskanzler Saatzüchter und Agrokonzerne eingeladen, um der umstrittenen grünen Gentechnik zum Durchbruch zu verhelfen. Während der BSE-Krise verließ ihn der Mut. Jetzt will die grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast das Gespräch an seiner Stelle fortsetzen. Freut Sie das?
Dieter Wissler: Die Gespräche, die wir damals im Bundeskanzleramt geführt haben, waren sehr fruchtbar und die Idee für ein dreijähriges Projekt auf deutschen Äckern auch schon relativ weit gediehen. Die Industrie hat den Abbruch im Januar bedauert. Wenn wir den Dialog jetzt fortsetzen können, wäre das sicher Anlass zur Freude.

ZEIT: Das klingt noch etwas skeptisch. Hätten Sie lieber mit dem Gentechnikbefürworter Gerhard Schröder weiterverhandelt als mit seiner grünen Verbraucherschützerin?
Wissler: Nun ja, in einem ersten Vorgespräch zeigte sich Frau Künast für unser Anliegen aufgeschlossen. Ihre Taten sprechen allerdings eine andere Sprache. Dass sie im Juni die Zulassung einer modifizierten Maisart durch das Bundessortensamt blockierte, hat uns zu denken gegeben. Im vergangenen Winter waren wir bei diesem Thema schon mal weiter. Damals lautete der Deal: Die Politik nimmt auf die Genehmigungsverfahren keinen Einfluss; die Industrie verpflichtet sich im Gegenzug, die neuen Sorten nicht flächendeckend zu vermarkten, sondern erst einmal auf den vereinbarten Testfeldern anzubauen. Nur so lässt sich überhaupt die Basis für eine substanzsierte öffentliche Diskussion schaffen.

ZEIT: Wollen Sie Bedingungen stellen, bevor Sie sich an den Runden Tisch der Ministerin setzen?
Wissler: Für Grundsatzdebatten sind wir jedenfalls nicht zu haben. Dazu sind wir damals einfach schon zu weit gekommen. Wenn wir an wichtigen Punkten wie der Verwertung von Feldfrüchten Zugeständnisse machen, bringt uns das ganze Verfahren nichts. Das Erntegut muss in die Nahrungskette eingespeist werden. Wenn wir den Mais vernichten würden, wie das manche Gentechnikgegner fordern, würde das ja so aussehen, als würden wir unsere Produkt selbst für gefährlich halten.

ZEIT: Fürchten Sie, dass die Aktion, die den Verbraucher für die grüne Gentechnik gewinnen soll, dann einen negativen PR-Effekt haben könnte?
Wissler: Genau. Vernichtung symbolisiert Gefahr. Wir wollen aber gerade deutlich machen, dass wir hier eine beherrschbare Technologie haben. Dazu gehört auch, dass man die Produkte vermarktet. Wir reden nicht über die gesamte Getreideproduktion, sondern über eine begrenzte Menge Futtermais für die Milch- und Fleischproduktion. Diese Produkte werden dann deutlich gekennzeichnet in speziellen Geschäften erhältlich sein, sodass wir die Akzeptanz prüfen können.

ZEIT: An welche Mengen denken Sie dabei?
Wissler: Das ist ein Thema, das wir mit Frau Künast besprechen müssen. Die Industrie war in den vergangenen Monaten nicht untätig. Weil die Forscher inzwischen einige weitere Pflanzensorten in die Pipeline gebracht haben, werden wir mit der ursprünglich ausgehandelten Fläche nicht auskommen. Ich rechne mit einer Größenordnung von 1000 bis 3000 Hektar Anbaufläche.

ZEIT: Das heißt, Sie wollen die Ministerin nicht nur auf die Ergebnisse des vergangenen Jahres festnageln, sondern bringen sogar noch zusätzliche Forderungen mit.
Wissler: Wir reden hier über wenige Promille der Gesamtanbaufläche, über Grund und Boden, der, wenn es hoch kommt, 100 durchschnittlichen deutschen Bauernhöfen entspricht. Im Vergleich mit den Vereinigten Staaten ist das sehr wenig.

ZEIT: Und wenn die Ministerin Ihre Vorschläge mit einer erneuten Absage der Gespräche quittiert?
Wissler: Das wäre schade, denn dann wäre eine wahnsinnig gute Chance zum Dialog verpasst, und zwar für beide Seiten. Die Industrie hat ja noch andere Möglichkeiten. Man verweigert uns zwar bisher die Sortenzulassung, aber wir dürfen unsere Mais- und Rapssorten auch ohne sie auf je 500 Hektar aussäen.

ZEIT: Wollen Sie auf der Basis Geschäfte machen oder nur die Ministerin ärgern?
Wissler: Zugegeben, die große kommerzielle Nutzung wäre das nicht. Wir streben diese Strategie auch nicht an, genauso wenig wie etwa den Klageweg. Im Ernstfall könnten wir allerdings versuchen, die Zulassungen vor Gericht zu erstreiten. Aber das wäre nur die letzte Konsequenz.

ZEIT: ... was Ihre späteren Absatzchancen vermutlich nicht gerade steigern dürfte.
Wissler: Genau, deshalb setzen wir nach wie vor auf Dialog. Der Verbraucher soll sich ein Bild machen können, ob die Ware anders schmeckt.

ZEIT: Der Geschmack ist vermutlich das geringste Problem der Kritiker. Sie fürchten eine Beeinträchtigung der Natur. So könnten die Pestizide, die Sie in das High-Tech-Getreide einbauen, nicht nur dem Mais-Zünsler, sondern auch nützlichen Schmetterlingen schlecht bekommen.
Wissler: Gerade dieses Beispiel zeigt, wie dringend wir ein Beobachtungsprogramm unter Praxisbedingungen brauchen. Der Fall, den Sie ansprechen, machte vor einiger Zeit weltweit Schlagzeilen: Forscher der amerikanischen Cornell-Universität hatten den Pollen der neuen Maissorten an Larven des Monarchfalters verfüttert und Nebenwirkungen festgestellt. Die Nation schlug Alarm, weil sie ihren Lieblingsschmetterling bedroht sah. Inzwischen gibt es aber längst Entwarnung. In einer vierjährigen, breit angelegten Versuchsserie hat die kanadische Universität Guelph nachgewiesen, dass die Wirkung von Mais mit eingebauten Insektiziden auf den Monarchfalter wesentlich geringer ist, als ursprünglich angenommen. Der Unterschied: Die Kanadier hatten bei ihrem Freilandversuch naturgetreue Bedingungen, während die Amerikaner den Schmetterlingen im Labor Maispollen in einer aberwitzigen Dosis zu fressen gaben.

ZEIT: Kritiker behaupten, durch die Genmodifikation ließen sich weit weniger Pestizide sparen, als ursprünglich angenommen. Stimmt das?
Wissler: Das hängt von der Sorte ab. Die amerikanischen Baumwollfarmer, die ihre konventionellen Pflanzen früher mehrmals pro Saison gegen Fressfeinde spritzen mussten, sparen durch die Gentechnik eine ganze Menge Chemikalien. Beim Mais wurden schon immer weniger Pestizide versprüht, deshalb fällt die Einsparung dort geringer aus. Trotzdem profitieren die Maisbauern, weil die neuen Sorten höhere Erträge erzielen.

ZEIT: Die Landwirte sind leicht zu überzeugen. Aber was bieten Sie der Hausfrau im Laden?
Wissler: Auch für den Verbraucher bringt die grüne Gentechnik Vorteile. Es wird Kartoffeln geben, die beim Frittieren weniger Fett aufnehmen, und Reis, der zusätzliche Vitamine enthält. Für Menschen, die gegen ein bestimmtes Getreideeiweiß allergisch sind, entwickelt die Branche sogar spezielle, so genannte glutenfreie Weizensorten.

ZEIT: Werden diese Wunderkräuter Teil des diskutierten Großversuchs sein?
Wissler: Nein, leider nicht. Bei diesen Pflanzen ist die Forschung noch nicht ganz so weit gediehen wie bei den schädlings- und pestizidresistenten Sorten. Da müssen uns die Konsumenten noch fünf bis zehn Jahre Zeit geben.

ZEIT: Sollten Sie da nicht mit der PR-Aktion warten, bis Sie den Kritikern etwas anbieten können?
Wissler: Taktisch wäre das vielleicht von Vorteil. Aber wir können nicht so lange warten. Wenn wir jetzt nicht in die Offensive gehen, kann es passieren, dass die Politik Fakten schafft und wir die Technologie nicht mehr weiterentwickeln können.

Aus Die Zeit 42 Woche 2001

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