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Deutschlandfunk: Umwelt und Landwirtschaft
Manuskript vom: 29.5.2001 • 16:35

Fernsehthema Landwirtschaft
Polens Dörfer sind besser als ihr Ruf

Die zurückgebliebene polnische Landwirtschaft gilt in Westeuropa als ein wesentlicher Hemmschuh auf dem Weg zur Integrierung Polens in die Europäische Union. Doch auch die polnische Bevölkerung selbst hat von ihren Dörfern oft keine sonderlich gute Meinung. Eine polnische Fernsehserie dokumentiert jetzt das ungeschminkte alltägliche Landleben. Dabei zeigt sich: Polens Dorf ist besser als sein Ruf.

Zur elegischen Musik zeigt der Fernsehfilm eine Idylle. Hunde, Pferde und Katzen tollen, Störche wechseln ab mit satten Weiden, farbenfrohen Blumen - und Bauern. Soso, meint eine alte Bäuerin, alle wollen in die Stadt ziehen? Aber das geht doch nicht, irgend jemand muss doch auch hart arbeiten! Ein bildhübsches junges Mädchen im Stall ruft strahlend in die Fernsehkamera: "Immer hinter dem Schreibtisch sitzen? Nicht mit mir! Da bin ich lieber bei meinen Ferkeln!" Einem älteren Mann kommen vor Rührung die Tränen, als er seine Philosophie erklärt:

"Die Erde hat uns gegeben, die Erde wird uns wieder aufnehmen, dafür müssen wir sie lieben."

Unbekannte Töne sind das in einer Zeit, in der auch vielen Polen das bäuerliche Landleben als Inbegriff der Zurückgebliebenheit und der mangelnden Wirtschaftlichkeit gilt. Streikende selbsternannte Bauernfunktionäre und auch einseitige Fernsehfilme wie der vielkritisierte Film "Arizona", in dem die Bauern sich vor laufender Kamera betranken, haben dem Image des polnischen Bauernstands geschadet.

Die 12-teilige Fernsehserie "Goldene Auen" der Regisseurin Ewa Straburzynska lässt deshalb aufhorchen. Monatelang lebte ihr Fernsehteam in einem niederschlesischen Dorf, einer ehemaligen Staatskolchose. Das hautnahe Fernsehdokument zeigt von Dauer-Alkoholismus, Faulheit und Subventionsforderungen keine Spur. Ob bei der Dorfhochzeit oder dem häuslichen Brotbacken - die Liebe zum Bauernleben und den alten Traditionen ist unverkennbar. Der Breslauer Polonistik-Professor Jan Miodek, ein bekannter Fernseh-Spezialist für die polnische Muttersprache, übernahm deshalb gern die Rolle des Fernseh-Kommentators.

"Als die Serie fertiggestellt war, meinten manche im Fernsehen, dass das Dorf zu optimistisch dargestellt sei. Da dachte ich: Das ist typisch. Wenn ein Pole nicht meckern kann, ist er krank. Ich sage dagegen seit 12 Jahren: Polen, freut Euch der neuen Freiheit! Trotz aller Probleme gibt es Riesenchancen. Diese Bauern haben sich wirklich der Fernsehkamera geöffnet, sie spielen kein Theater. Sie wissen, dass nicht EU-Subventionen und Steuergeschenke, sondern ihre eigene Arbeit ihnen das Leben sichert. Und so ist es in den meisten polnischen Dörfern. Ich besuche oft meine Schwiegermutter und andere Bekannte auf dem niederschlesischen Land, und ich sehe: Über 90 Prozent von ihnen hat ein Auto, einen Mähdrescher und andere moderne Landwirtschaftsgeräte. Es geht deutlich aufwärts."

Vor einem guten Monat präsentierte Polens Vize-Landswirtschaftsminister Jerzy Plewa in Brüssel eine aktuelle Studie. Sie bestätigt den Eindruck des Fernsehprofessors. Seit einem Jahr erfüllt bereits 41 Prozent der polnischen Milchproduktion die Hygienevorschriften der EU-Extraklasse. Sie werden von einem guten Drittel der 450.000 polnischen Milchproduzenten eingehalten. Für die ökologische Sauberkeit des polnischen Landes sprechen 41000 Storchenpaare - in der gesamten EU gibt es nur 30.000 Paare. Der Verbrauch von Pestiziden und chemischen Pflanzenschutzmitteln ist in Polen zehnfach geringer als in der EU. Die extensivere Familienwirtschaft stößt jedoch an die Grenzen des Marktes, zeigt die Fernsehserie deutlich. Der Holländer Henk und seine polnische Ehefrau Joanna haben seit 3 Jahren die ehemalige Staatskolchose teilweise übernommen und mit neuzeitlicheren Methoden einen profitablen Milchstall aufgebaut. Der traditionell arbeitende Bauer Herr Franciszek ist voller Staunen.

"Diese Holländer lieben das offenbar. Ich hätte an seiner Stelle schon längst aufgegeben. Man kann doch wie ein Ochse schuften, und es bleibt nichts übrig. Zwei Schweine musst Du geben für ein Fass Diesel, zwei Kilo Schweinefleisch, um Bier zu trinken. Das ist doch nicht normal."

Der sympathische Holländer ist - wie seine polnischen Nachbarn - Bauer mit Herz und Seele. Doch die Ansiedlung ausländischer Bauern mit neuzeitlichen Methoden begrüßen nicht alle polnischen Einheimischen - es kam zu Brandstiftung, berichtet diese Bäuerin.

"Das Feuer hat bestimmt einer aus Neid gelegt! Der sieht, die Holländer arbeiten tüchtig, sie können ordentlich wirtschaften und kriegen gute Milch. Beim ersten Mal konnten sie das Feuer schnell löschen, doch beim zweiten Mal verbrannte das ganze Heu."

Nach heutigen EU-Kriterien könnten von den 2 Millionen polnischen Bauerngütern etwa 600.000 bis 1,2 Million auf EU-Zuschüsse rechnen. Diese würden die positive Umstrukturierung weiter verstärken. Doch wenn es nach dem holländischen Jungbauern Henk geht, liegt die Chance des polnischen Landes gerade in seiner ökologischen Reinheit und Unberührtheit von EU-bürokratischen Übertreibungen.

"Hier, in Polen, kann ich alles machen! Das Vieh auf die Weide bringen, wann ich will, soviel Stück Vieh haben, wie ich will... in Holland ist dagegen alles reglementiert."

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