Dynamisches Wechselspiel auf den Feldern

Viele Naturschützer beunruhigte die Frage, ob nicht der großflächige Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen die Vielfalt der Lebewesen auf den Ackern noch weiter verringern wird. Forscher vom Institut für Umweltbiologie der University of East Anglia in Norwich haben in einem mathematischen Modell nach einer Antwort auf diese Frage gesucht. Sie berechneten Voraussagen für das Überleben von Vögeln, die sich von den Samen eines verbreiteten Wildkrautes ernähren. Als Beispiel wählten sie die Populationsdynamik der Feldlerche auf stark und schwach verunkrauteten Äckern, auf denen herbizidtolerante Zuckerrüben angebaut werden. Zum Vergleich berechneten sie die Verbreitung der Vögel auf Feldern mit traditionellem Rübenanbau. Sie kommen in ihrem Modell zu dem Schluß, daß die Unkräuter beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen so weit eliminiert werden könnten, daß die Populationen der Feldvögel stark gefährdet würden. Der britische Ökologe Les Firbank vom Zentrum für Ökologie und Hydrologie in Cumbria und sein Kollege Frank Forcella von der Forschungsstelle Morris des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums haben diese Aussage (S. 1481) jedoch angesichts der tatsächlichen Erfahrungen relativiert. Dabei legten sie die seit Anfang der neunziger Jahre mit gentechnischem Mais sowie Canola, Sojabohnen und Zuckerrüben in Nordamerika gewonnenen Erkenntnisse zugrunde.

Zuckerrüben werden häufig nur jedes fünfte Jahr auf einem Feld angebaut, auf dem in den übrigen vier Jahren jeweils Wintergetreide wächst. Der auf Zuckerrübenfeldern weitverbreitete Gänsefuß, Chenopodium album, ist wegen seiner zahlreichen Samen eine wichtige Futterquelle für viele Feldvögel, darunter auch für die überwinternde Feldlerche. Das Unkraut taucht praktisch nur auf den Zuckerrübenfeldern auf, nicht aber, wenn Getreide angebaut wird. Im letzteren Fall ist es leicht auszumerzen, was meist radikal geschieht. Die Samen der einjährigen Pflanze können aber jahrelang im Boden verharren, bis sie unter günstigen Bedingungen auskeimen. Auf Flächen mit konventionellen Zuckerrüben versuchen sich die Landwirte vor dem Wildkraut zu schützen, indem sie die Acker vor  dem Aufgehen der Rübensaat in der Regel mindestens zweimal mit einem ganzen Cocktail verschiedener Herbizide spritzen. Beim Anbau der gentechnisch veränderten Sorten genügt die Behandlung mit einem einzigen Breitbandherbizid, das außerdem erst nach dem Aufgehen der Saat ein- bis zweimal aufzutragen ist.

Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, daß die amerikanischen Landwirte herbizidtolerante Pflanzen sehr schnell akzeptieren, und zwar sowohl für Felder mit hohem als auch für solche mit niedrigem Unkrautbefall. Umfragen haben ergeben, daß sie herbizidtolerante Sorten zumindest im Fall der Sojabohne interessanterweise jedoch nicht unbedingt deshalb bevorzugen, weil sie davon eine effizientere Unkrautbekämpfung und höhere Erträge erwarten, sondern weil das Feldmanagement einfacher ist. Bei den herbizidtoleranten Pflanzen sind die Unkrautvernichtungsmittel nicht nur seltener anzuwenden, man kann sich außerdem auf weniger Mittel beschränken und braucht es mit dem richtigen Zeitpunkt ihrer Anwendung nicht so genau zu nehmen. Die Aussicht, mit gentechnisch veränderten Pflanzen den Rübenanbau zu vereinfachen, hat viele Landwirte daher von deren Vorteilen überzeugt. Es sei zwar, wie auch Firbank und Forcella entsprechend den Modellrechnungen ihrer Kollegen meinen, grundsätzlich damit zu rechnen, daß beim Anbau herbizidtoleranter Zuckerrüben auf stark mit Unkraut befallenen Feldern die Lerchenpopulationen kleiner werden könnten. Dem müßten jedoch andere Konsequenzen entgegengehalten werden. So erfolge die Anwendung der Herbizide bei gentechnisch veränderten Zuckerrüben in der Regel später als bei konventionellen Sorten. Dies könne das Brüten der Vögel begünstigen. Außerdem müsse der Boden weniger intensiv bearbeitet werden, was die Lebensvielfalt im Boden günstig beeinflusse. Mehr Samen würden dann in den oberen Ackerschichten zurückgehalten und könnten den Vögeln als Nahrung dienen. Ob gentechnisch veränderte Nutzpflanzen letztlich besser oder schlechter für Feldvögel sind als konventionelle Sorten, läßt sich weder anhand des mathematischen Modells noch durch Beobachtungen am Acker bislang sicher sagen. Die Ökologen aus Norwich weisen darauf hin, daß das persönliche Verhalten der Landwirte, etwa einen gewissen Unkrautbefall oder wildbewachsene Feldränder zu tolerieren, die Entwicklung der Vogelpopulationen regional beeinflussen kann. Nach Ansicht ihrer Kollegen dürfte das persönliche Feldmanagement sogar einen ganz erheblichen Einfluß auf die Feldvogelpopulationen haben.  

BARBARA HOBOM

Aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.05.2001

[Übersicht] [Startseite]