WTO beginnt mit Agrar-Gesprächen

Streit um den Verhandlungsvorsitz / Gegensätze zwischen EU und Amerika

km. GENF, 22. März. Trotz eines Streits um den Verhandlungsvorsitz dürften am heutigen Donnerstag in der Genfer Welthandelsorganisation (WTO) Gespräche über die weitere Liberalisierung des Agrarhandels beginnen. Diplomaten rechnen damit, dass man sich für eine Übergangszeit auf einen Kompromisskandidaten einigt, weil die Verhandlungen vermutlich bis Jahresende kaum Fortschritte bringen. Konzessionen seien erst nach den Präsidentenwahlen in den Vereinigten Staaten oder beim Start einer neuen Handelsrunde zu erwarten, heißt es in Genf. Die Pläne für eine neue WTO-Runde waren vor drei Monaten auf der Handelskonferenz in Seattle gescheitert. Die neue Runde hätte Agrar- Kompromisse vermutlich erleichtert, weil man sie mit Konzessionen im Handel mit Industrieprodukten und anderen Gütern hätte verknüpfen können. Obwohl die Agrargespräche bereits in der Uruguay-Runde vor sechs Jahren vereinbart worden waren, verzögerte sich der Start wegen des Seattle-Debakels um ein paar Wochen. 
Auch der jetzige Führungsstreit ist ein weiteres Indiz für die Gegensätze zwischen der Europäischen Union sowie den Vereinigten Staaten und den Agrarexporteuren der Cairns-Gruppe. Die letzteren fordern ein Ende der Subventionen, während die EU entsprechend den Vorgaben der Uruguay-Runde lediglich über einen "substanziellen und progressiven Abbau" des Marktschutzes und der staatlichen Hilfe sprechen will. Die Europäer lehnten daher einen Brasilianer als Vorsitzenden der Agrar-Gespräche ab, weil dieses Land der Cairns-Gruppe angehört. In der Uruguay-Runde war eine schrittweise Senkung der staatlichen Hilfen und der Subventionen beschlossen worden, die Ende 2000 verwirklicht sein muss. 
Das weitere Vorgehen bis zum Jahre 2003, in dem eine Friedensklausel endet, ist strittig, weil die EU vor multilateralen Zugeständnissen in der WTO zunächst interne Agrar-Reformen vornehmen muss. Außerdem beharrt sie darauf, dass die Landwirtschaft eine multifunktionale Aufgabe hat (Umweltschutz, Regionalpolitik), was zumindest teilweise staatliche Beihilfen rechtfertigt. Das wird von den Vereinigten Staaten abgelehnt und auch von den Cairns-Staaten, zu denen neben Brasilien unter anderem auch Australien und Kanada gehören. Die Vereinigten Staaten sind der größte Agrar-Exporteur. 
Der Anteil landwirtschaftlicher Produkte am Welthandel ist stetig geschrumpft und liegt nun bei 10 Prozent. Vor einem Monat begannen in der WTO bereits Gespräche über eine weitere Liberalisierung bei Dienstleistungen, die ebenfalls in der Uruguay-Runde beschlossen wurden. Beide Verhandlungen sind für WTO-Generaldirektor Michael Moore ein Zeichen dafür, dass die Organisation nach dem Fehlschlag in Seattle nicht völlig gelähmt ist.

Aus Frankfurter Allgemeine Zeitung,  März 00

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