Deutschlandfunk - 13. Februar 2004 • 12:32
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5.2.2004
Vielfalt auf Tellern, bedrohliche Monotonie in Ställen und Feldern
Biodiversitäts-Tagung in Berlin
Von Markus Rimmele

Auf der Internationalen Grünen Woche, der Leistungsschau der Agrarwirtschaft, vor zwei Wochen in Berlin, da konnten Besucher sie bewundern: die breite Palette an Nahrungsmitteln. Doch diese bunte Vielfalt, die auf unseren Tellern landet, verbirgt, dass sich da, wo die Nahrungsmittel ihren Ursprung haben, eine zunehmende Monotonie breit macht. Und das sei eine bedrohliche Entwicklung, behaupten Wissenschaftler auf einer Tagung in Berlin, zu der das Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung eingeladen hat.

Auch in dieser Woche sterben irgendwo auf der Erde wieder einmal zwei Nutztierrassen aus. So wie in der vergangenen und wohl auch in der nächsten. Das jedenfalls legt die Statistik nahe. Denn das Verschwinden der Tierrassen beschleunigt sich immer mehr. Etwa 16 Prozent sind schon unwiederbringlich verloren. Ein ähnliches Bild bietet sich bei den Nutzpflanzen. Ulrich Petschow vom Berliner Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung mit zwei Beispielen:

Das eine ist, dass im Prinzip auf zehn Kulturpflanzen die gesamte Welternährung beruht - im Getreidebereich. Alle anderen Arten, also über 90 Prozent der möglich nutzbaren, werden gar nicht mehr genutzt. Sehen wir uns die Situation gerade für Deutschland kurz an, dann kann man zum Beispiel bei Rindern sagen, dass vor 50 Jahren noch 100 Rinderrassen existierten und heute in der aktiven Nutzung eigentlich nur noch fünf Rinderrassen sind und dass wir gleichzeitig noch eine Handvoll Rinderrassen haben, die gefährdet sind und wo wir nicht wissen, ob die erhalten werden können.

Ulrich Petschow leitet das vom Bundesforschungsministerium finanzierte Projekt "Agrobiodiversität entwickeln!”. Agrobiodiversität: das ist die genetische Vielfalt bei Nutztieren und Nutzpflanzen. Auf einer das Projekt begleitenden Tagung versuchen Experten derzeit in Berlin, die Ursachen für das Verschwinden dieser Vielfalt besser zu verstehen und Lösungsansätze zu erarbeiten. Klar ist: die Monotonie in den Tierställen und auf den Anbaufeldern ist die Kehrseite einer Erfolgsgeschichte: der Erfolgsgeschichte der modernen Landwirtschaft. Tiere und Pflanzen wurden zu einer enormen Produktivität herangezüchtet. Eine Kuh, wie sie früher im Stall stand, zum Beispiel, kann mit den Hochleistungs-Milchkühen von heute nicht mithalten, ist unrentabel und verschindet vom Bauernhof. Kein großer Verlust, könnte man meinen. Die Milch bleibt ja die gleiche. Ulrich Petschow:

Das kleine Problem, das dahinter steht und was sich zum großen entwickeln kann, ist, dass wir eine Vielzahl von Optionen damit verlieren. Also wir wissen nicht, was wir in Zukunft brauchen werden. Um es dann am Beispiel deutlich zu machen: In den sechziger Jahren war eine Schweinerasse vom Aussterben bedroht, bis man feststellte, die hat genau die Eigenschaften, die man braucht, um ein Schwein zu produzieren, was in der Lage ist, die Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Sie haben teilweise durch die Hochzüchtung natürlich auch ein gewisses Problem, dass die Anfälligkeit größer wird und dass es auch zu Missernten kommen kann.

Wenn sich etwa ein Schädling flächendeckend ausbreiten kann, weil auf allen Feldern dieselbe anfällige Getreidesorte steht. Auch für die Weiterzüchtung und Verbesserung von Pflanzen und Tieren ist ein großer Genpool wichtig. Um zum Beispiel Kartoffeln schädlingsresistenter zu machen, benötigt der Wissenschaftler die genetische Vielfalt der Kartoffel-Wildvorkommen aus den südamerikanischen Ursprungsgebieten. Sterben die eines Tages aus, geht der Landwirtschaft ein sehr großes Entwicklungspotenzial für alle Zeiten verloren. Auch für die sich in Asien rasant ausbreitende Vogelgrippe könnte eine Ursache in der fehlenden Rassenvielfalt liegen. Zwar sieht es so aus, als wäre kein Geflügel vor der Krankheit sicher, sagt die Berliner Agrarwissenschaftlerin Anita Idel:

Tatsache ist aber, wir wissen es nicht. Das heißt, hier wäre erheblicher Forschungsbedarf, und zwar jetzt. Es wäre jetzt notwendig, Projekte zu initiieren, um zu sehen, ob denn in Asien die vorhandenen Landrassen dem Erreger möglicherweise eine größere Widerstandskraft entgegenbringen als homogene Hybridtiere aus der Massentierhaltung.

Ziel des Projektes ist zunächst, die Problematik in die Gesellschaft zu tragen, aber auch Lösungen zu suchen. Auf Dauer, so eine Forderung, müssten die Saatguthersteller und Tierzüchter ihre Züchtungspraxis verändern und mehr Vielfalt als Chance begreifen. Dies allerdings könne nur gelingen, wenn Züchter, Vermarkter und Verbraucher gemeinsam handelten. Hilfreich könnte dabei auch die Politik sein - durch die Unterstützung von Projekten.

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