DeutschlandRadio-Online 
http://www.dradio.de/cgi-bin/es/neu-umla/1581.html

Deutschlandfunk: Umwelt und Landwirtschaft
Manuskript vom: 9.7.2003 • 16:35

Bringen neue Grenzwerte das Aus für die Biotonne?

Mit 500 Haushalten hatte vor 20 Jahren in Witzenhausen alles begonnen: Erstmals in Deutschland wurde getestet, ob Bioabfälle getrennt vom übrigen Hausmüll gesammelt werden können. Als Vater der Biotonne gilt der damalige Professor für alternative Landbaumethoden an der Kasseler Universität und heutige Chef des Bundesamtes für Naturschutz, Hartmut Vogtmann. Seine Studenten zogen von Haus zu Haus, um die Bewohner vom neuen Abfallkonzept zu überzeugen. Einer der damaligen Geburtshelfer für die Biotonne war Klaus Fricke, heute Abfallexperte an der Technischen Universität in Braunschweig:

Als wir 1983 begannen mit der Getrenntsammlung hat uns da kaum einer ernst genommen. Zumal glaubte keiner, dass die Bevölkerung aktiv an solchen Getrenntsammlungssystemen mitmacht. Und jetzt sehen wir nach 20 Jahren: Die Biotonne ist in Deutschland flächendeckend eingeführt, die Bevölkerung macht mit, die Komposte weisen sehr gute Qualität auf.

Dieser Kompost wird zum Beispiel in der Landwirtschaft als Dünger eingesetzt. Oder zur Rekultivierung ehemaliger Bergbauflächen. Natur- und Umweltloben die dadurch entstehende Kreislaufwirtschaft. Auch Agrarwissenschaftler schwören auf die Vorteile. Sie behaupten, mit Kompost als Dünger könnten die gleichen Erträge wie mit mineralischen Düngemitteln erzielt werden. Bei Rüben zum Beispiel lägen die Erträge sogar höher, als wenn sie konventionell gedüngt würden. Das haben Langzeitversuche der Uni Bonn ergeben. Doch es gibt auch Kritiker. Die verweisen auf mögliche Krankheitserreger oder Schadstoffe. Auch die Biotonne selbst hat den Ruf, Erreger von Allergien, Schimmelpilze und unangenehme Gerüche zu produzieren. Gleichwohl hat sie sich durchgesetzt. Eine aktuelle Studie der Technischen Universität Braunschweig ergab, dass rund 80 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte Biotonnen aufgestellt haben, so Wissenschaftler Fricke:

Viele Kommunen sind zur Zeit dabei, die Systeme zu verbessern, um höhere Abschöpfungsraten zu bekommen, um den Restmüll weiter zu vermindern und auch
um bessere Qualitäten zu bekommen. Und auch die Mengen, die erfasst werden über die Biotonne, werden sogar noch erhöht.

Fricke meint zwar, dass die Ängste vor Schadstoffen und Krankheitserregern ernst genommen werden sollten. Er verweist aber auf Untersuchungen, die beweisen, dass von Biomüll und Kompost kaum Gefahren ausgehen. Doch die Zukunft ist trotzdem ungewiss. Denn die Bundesregierung arbeitet gegenwärtig an Grenzwerten für die Schadstoffbelastung von Kompost. Beim Blick auf diese Werte sieht Fricke dunkle Wolken über der Biotonne aufziehen:

Der letzte Entwurf, der uns vorliegt, würde dazu führen, dass vollständig die landwirtschaftliche Klärschlammverwertung verboten wird, und auch vollständig die Bioabfallverwertung im Landbau. Und das hätte sicherlich für die Abfallwirtschaft katastrophale Folgen.

Die vorgelegten Grenzwerte liegen sogar noch unter den Werten, die von der EU für den Ökolandbau vorgeschrieben werden. Kaum eine deutsche Kompostierungsanlage könnte diese Werte erfüllen. In diesen Anlagen werden pro Jahr rund fünf Millionen Tonnen Bioabfall zu Kompost verwandelt. Wenn der nicht mehr aufs Feld gefahren werden dürfte, wäre es sinnlos, Bioabfall weiter getrennt vom übrigen Müll zu sammeln. Er müsste verbrannt oder anderweitig vorbehandelt werden. Denn ab 2005 – also in zwei Jahren - darf kein unbehandelter Müll mehr deponiert werden. Doch im Moment gibt es gar nicht genügend Anlagen für solche zusätzlichen Müllmengen. Abfallexperte Fricke ist deshalb optimistisch, dass die Diskussion um die Grenzwerte positiv ausgeht und die Biotonne weitere 20 Jahre überlebt.

© DeutschlandRadio 2003

[Übersicht] [Startseite]