DIE ZEIT

11/2003

Wenn die Kraniche zielen

…werden Äcker gedüngt und Subventionen gezogen

Wenn die Kraniche ziehen, und das tun sie jedes Jahr zweimal (vom Süden Europas gen Sibirien und zurück), dann legen die majestätischen Vögel eine Zwischenlandung im Brandenburgischen ein. Den Reisenden im ICE zwischen Hamburg und Berlin bietet sich das Bild einer heilen Tierfilmwelt: Da wartet ihr Zug wieder einmal in der hoch subventionierten Agrarlandschaft auf den Gegenzug, Nebelschwaden steigen in den zartblauen Himmel, einige der hunderttausend ostdeutschen Rehe äsen in den ersten Frühjahrshalmen, und da stehen sie in der beinahe blühenden Landschaft – Hunderte, wenn nicht Tausende der prachtvollen Tiere, russische Vögel, Transitreisende ohne Visum und ohne Manieren. Die gefiederten Aristokraten, von Schiller besungen, zum Lufthansa-Emblem erkoren, kacken einfach in die Felder.

Aber weil sie dies in Deutschland tun, fließen sofort Subventionen. Die Besitzer der solchermaßen leicht überdüngten Krume erhalten, so berichtet der Tagesspiegel, einen staatlichen Ausgleich für die erlittene Unbill.

Wird da die durchschnittliche gewichtete Vogelkloake eines ausgewachsenen Kranichs multipliziert mit der normalen Verweildauer des Tieres auf einer Fläche von etwa drei Quadratmetern, um die Höhe des Schadensersatzanspruchs zu ermitteln? Oder hat das zuständige Landwirtschaftsministerium im Laufe der Jahre bereits einen Pauschbetrag veranschlagt? Die Kranichzulage, das steht fest, bedarf nach dem Beitritt des anderen beliebten Zwischenlandeplatzes Polen in die EU auf alle Fälle einer europäischen Harmonisierungsverordnung. Und dann wird sich herausstellen, dass sie viel zu niedrig ist.

Michael Naumann

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