DIE ZEIT

Wirtschaft 41/2002

Sinnloser Stempel auf dem Fleisch

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Kunden brauchen kein weiteres Gütesiegel – sie brauchen gute Ware

von Marcus Rohwetter

Hurra, ein neues Gütesiegel!  Auf den Fleisch- und Wurstverpackungen in den Supermärkten werden Verbraucher demnächst immer häufiger entdecken.  Das blau-weiße Zeichen mit den Buchstaben Q und S, der Abkürzung für Qualität und Sicherheit.  In den Filialen von Wal-Mart pappt er schon seit ein paar Tagen auf den Klarsichtfolien von Schweinenacken und -schnitzeln.  Blaue QS-Werbetafeln und Prospekte sollen den Kunden zeigen - hier gibt es etwas Neues.

Wal-Mart ist der Erste, der mit dem neuen Gütesiegel der deutschen Fleischwirtschaft seinen Kunden Wurst und Schinken wieder schmackhaft machen will.  Bis zum Jahresende werden die meisten and der anderen Supermarktketten nachziehen, Aldi inklusive. Sicher, Industrie und Lebensmittelhandel haben ein paar gute Argumente nötig, um den Verbrauchern klar zu machen, dass sie sich mit einer Scheibe Salami nicht um die Gesundheit bringen.  Nach Rinderwahn, Schweinepest und einigen anderen Skandalen, nach Nitrofen, Hormonen und Antibiotika essen die Deutschen weniger Fleisch.

Für den Verbraucher ist das, neue Siegel nur eines unter vielen.  Qualität, ja gerne.  Sicherheit, na klar.  Aber verspricht das nicht jeder?  Nach Angaben der Fachzeitschrift Ökotest gibt es in Deutschland allein für Fleisch zurzeit 90 verschiedene Gütesiegel.  Darunter diverse Ökozeichen und Dutzende mit solch putzigen Namen wie "Happy Harn" oder "Schwein“ von hier.  Egal wie die jeweiligen Prüfverfahren aussehen, wie streng die Regeln und Kontrollen auch sein mögen - letzten Endes vermitteln alle Siegel dieselbe Botschaft.  Dieses Fleisch ist gut, also kauf es, iss es und werde glücklich.  Manche Gütezeichen garantieren artgerechte Tierhaltung, den Verzicht auf Wachstumsbeschleuniger oder das Verbot von gentechnisch verändertem Futter. Andere Siegelanbieter scheren sich nicht darum und hoffen, bereits der Hinweis auf eine wie auch immer geartete "kontrollierte Aufzucht“ werde die Kunden schon überzeugen.  Und das, obwohl ein Bauer seine Tiere bereits dann kontrolliert, wenn er ab und zu mal im Stall nachschaut, ob auch alle ihre Antibiotika bekommen haben.

Das Problem aller Qualitätssiegel: Man sieht ihnen die Qualität nicht an.  Wer hat denn im Gedränge des samstäglichen Großeinkaufs eine Liste mit sämtlichen dahinter stehenden Prüfkriterien dabei?  Niemand.  Die Menschen vor den Kühltruhen fühlen sich zu Recht unsicher.  Ihnen wurde allzu oft versprochen, Fleisch  von deutschem Vieh sei ganz besonders sicher, ganz besonders gut und - natürlich - sogar ein Stück Lebenskraft. Und dann kam Rinderwahnsinn. Und dann        kam Nitrofen. Und was kommt als Nächstes?  Denkbar schlechte Voraussetzungen für den Start eines weiteren Gütesiegels.

Hinter dem neuen QS-System stecken nicht etwa besonders kritische Ökoverbände, sondern die konventionelle Landwirtschaft mit ihrer gesamten Verwertungskette: Spitzenorganisationen der Futtermittel-, Schlacht- und Fleischwarenindustrie, der Deutsche Bauernverband, der Einzelhandel und die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA).  Letztere darf nun den Verbrauchern erklären, warum das neu e QS-Zeichen besser sein soll als das bekannte CMA-Gütesiegel, das ja auch schon seit Jahren angeblich höchste Qualität garantiert.

Neu an QS ist die Dokumentation der gesamten Produktionskette.  Man weiß, welches Schwein in der Wurst steckt, welches Futter im Schwein und welcher Dünger im Futter.  QS-lizenzierte Futtermittelhersteller, Landwirte, Schlachter und Einzelhändler dürfen ihre Waren ausschließlich von anderen Mitgliedern des Systems beziehen.  Zugleich verpflichten sie sich, über sämtliche Produktionsschritte genau Buch zu fuhren: Von wem sie welche Ware beziehen, wie sie sie verarbeiten und an wen sie sie verkaufen.  In einer zentralen Datenbank werden die Informationen gesammelt.  Panscher lassen sich so schnell ermitteln, hoffen die Initiatoren.  Das ist ein Schritt in die richtige Richtung - schließlich wurden die jüngsten Lebensmittelskandale dadurch verursacht, dass Futter gepanscht wurde und im Nachhinein kaum noch festgestellt werden konnte, was alles ins Fleisch gelangt war.  Insofern bietet das Siegel "Qualität und Sicherheit" tatsächlich eine Verbesserung.

Wer sich von einem QS-Aufkleber allerdings eine deutlich höhere Qualität verspricht, dürfte enttäuscht werden. Denn in den so besiegelten Verpackungen ist nichts anderes als das altbekannte Fabrikfleisch.  Verbraucherschützer bemängeln, dass die QS-Kriterien kaum strenger sind als die ohnehin geltenden gesetzlichen Vorschriften.  In der Tat müssen QS-Betriebe zum Großteil lediglich das tun, was eine Selbstverständlichkeit sein sollte und wofür es nicht auch noch ein besonderes Prädikat geben dürfte: So müssen die Rohstoffe für die Produktion von Futtermitteln den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, und Schweinehalter müssen die staatliche Hygieneverordnung einhalten.  Kein Wort steht in den QS-Broschüren über bessere Haltungsbedingungen für Schlachtvieh oder strengere Regeln für Tiertransporte.  Es gibt kein klares Bekenntnis gegen gentechnisch veränderte Futtermittel.

Nur in Teilbereichen bedeutet QS mehr, als bloß gesetzliche Vorschriften einzuhalten. Zum Beispiel verbietet es lizenzierten Betrieben, Hirn- und Rückenmark von Schweinen zu verarbeiten.  Auch die "antibiotischen Leistungsförderer" sind tabu - allerdings erst bei älteren Tieren.  Während ihrer Wachstumsphase dürfen Jungtiere sehr wohl noch mit solchen Medikamenten „gefördert“ werden.  Diese Regeln, so verspricht es jedenfalls die QS-Lobby, sollen nach und nach verschärft werden.  Und das ist auch gut so.  Denn in der derzeitigen Form sind sie zu lasch, um Verbraucher wirklich davon zu überzeugen, dass sie besseres Fleisch bekommen.

Was QS außerdem noch fehlt, sind Strafen für Betriebe, die sich nicht an die Regeln halten.  Unter welchen Bedingungen Geldbußen verhängt werden und wie hoch diese sein können - darüber müssen sich die QS-Gremien erst noch einigen.  Das hält Supermärkte wie Wal-Mart allerdings nicht davon ab, schon mal ordentlich Werbung für das neue Gütesiegel zu machen.  Nur: So entsteht kein Vertrauen.  Höchstens der Verdacht, dass die Werbung für das QS-Siegel wichtiger ist als ein funktionierendes System dahinter.

Vom Stall bis auf den Teller - alle Stufen der industriellen Fleischerzeugung zu dokumentieren ist ein sinnvolles Vorhaben.  Doch der Versuch, mit blau-weißen Aufklebern schlichte Massenware zu einem besseren Produkt zu machen, wird scheitern.

Aus "Die Zeit" Ausgabe 41/2002

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