Niederlande verlangen von Brüssel schnelle Agrarreform

Aus der FTD vom 25.9.2002

In der Endphase der Erweiterungsverhandlungen verhärtet sich die Haltung der niederländischen Regierung in der Frage der Finanzierung der Beitritte und der Gemeinsamen Agrarpolitik. Das Kabinett des christdemokratischen Ministerpräsidenten Jan-Peter Balkenende lehnte in Den Haag die Gewährung der geforderten Direktbeihilfen für osteuropäische Bauern strikt ab.
Dagegen zeichnete sich am Dienstag ein Abrücken der Warschauer Regierung von ihrer Maximalforderung nach den umstrittenen EU-Subventionen ab. Die neue Mitte-rechts-Regierung, die im Juli ins Amt gekommen ist, hat den Niederlanden einen rigorosen Sparkurs verordnet. Da die Holländer pro Kopf bereits der größte EU-Nettobeitragszahler sind, will Balkenende auch die Kosten für Europa drücken und eine schnelle Reform der hoch subventionierten EU-Agrarpolitik durchsetzen.
"Wir sind mit dieser deutlichen Position in der EU nicht isoliert", sagten am Dienstag niederländische Diplomaten, die auf ähnliche Positionen in den anderen Nettozahlerländern wie Deutschland, Großbritannien oder Schweden verwiesen. Allerdings bemüht sich die deutsche Regierung seit längerem um einen Kompromiss mit Frankreich. Paris beharrt bisher kategorisch darauf, dass über Geldfragen erst unmittelbar vor dem Auslaufen des bis 2006 festgelegten EU-Finanzrahmens verhandelt werden könne.
Auf dem EU-Erweiterungsgipfel von Kopenhagen im Dezember müsse verhindert werden, dass "die Zukunft der EU-Finanzen mit einer Hypothek belastet" werde, hieß es in einer Erklärung des Den Haager Außenministeriums, die nach der Kabinettssitzung zur Europapolitik vom vergangenen Wochenende jetzt verbreitet wurde. Dies bedeute, dass es keine Einkommensbeihilfen für die neuen Mitglieder geben dürfe.
Beschleunigter Ausstieg
Sollte dies "unvermeidbar" sein, müssten noch vor den ab 2004 geplanten Beitritten die 15 derzeitigen EU-Länder über einen "beschleunigten Ausstieg" aus dieser Subventionspolitik entscheiden, verlangte Den Haag weiter. Das Agrarbudget macht knapp die Hälfte des gesamten EU-Haushaltes von rund 96 Mrd. Euro aus.
Die Regierung Balkenende stützt ihre Forderung auf eine Analyse des Finanzministeriums, wonach in einer Union mit 25 Staaten die Kosten für den Agrarsektor zwischen 2007 und 2013 um insgesamt rund 40 Mrd. Euro steigen würden, wenn nicht gegengesteuert werde. Die Ausgaben für die Regionalförderung drohten im selben Zeitraum um jährlich 10 Mrd. Euro zu steigen. Die niederländische Nettozahlerposition würde sich demnach unterm Strich um jährlich 1 Mrd. Euro verschlechtern.
Auf Intervention Den Haags hatte EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen schon die Veröffentlichung der Fortschrittsberichte zu den einzelnen Bewerbern um eine Woche auf den 9. Oktober vorgezogen. Regierung und Parlament wollen mehr Zeit zur Beratung haben, bevor am 24. und 25. Oktober ein EU-Sondergipfel in Brüssel erste Vorentscheidungen über die Kandidaten treffen will.
Polen ist verhandlungsbereit
Dann wollen die EU-Staaten auch über eine gemeinsame Verhandlungsposition für das Agrarkapitel entscheiden. Mehr Offenheit für Konzessionen lässt dagegen überraschend die polnische Regierung erkennen. Eine der führenden Tageszeitungen des Landes, die "Gazeta Wyborcza", berichtete am Dienstag, Warschau sei bereit, die Forderung nach vollen EU-Direktbeihilfen für die eigenen Landwirte schon ab 2004 fallen zu lassen. Die EU-Kommission hatte eine zunächst schrittweise Gewährung der Einkommensunterstützung bis 2013 vorgeschlagen. Im Jahr 2004 sollte es zunächst nur 25 Prozent an Beihilfen aus der EU-Kasse geben.
Aus Warschau wurde dies lange als eine EU-Mitgliedschaft "zweiter Klasse" abgelehnt. Der Zeitung zufolge will die Regierung bis zur nächsten Woche eine neue Position für die Verhandlungen mit der uropäischen Union verabschieden. Die Minderzahlungen aus Brüssel könnten durch Leistungen aus dem eigenen Haushalt, die Umwidmung von Geldern aus dem Strukturfonds oder durch Importzölle auf Getreide ausgeglichen werden.Sparkurs
Subventionen
Höhere Agrar- und Regionalbeihilfen könnten den Haushalt der europäischen Union von 2004 bis 2013 um 100 Mrd. Euro zusätzlich belasten.
Nettozahlungen
Die niederländischen Nettoüberweisungen nach Brüssel drohen dann von 3,3 Mrd. Euro im kommenden Jahr auf 6 Mrd. Euro im Jahr 2013 zu steigen.

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