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Deutschlandfunk: Umwelt und Landwirtschaft
Manuskript vom: 4.4.2003 • 16:35

Wirkstoffe aus Zierpflanzen
Die Suche nach Alternativen für

„Bazitazin“ – ein Wort, das bei Tierzüchtern erst Hoffnungen, dann große Ängste weckte: „Bazitazin“ – so nennen die Fachleute eines jener Antibiotika, die an Nutztiere verfüttert wurden, um größere Mengen an Fleisch und Milch zu bekommen. Heute ist „Bazitazin“ verboten. Grund: Die Nebenwirkungen bei Tier und Mensch.

Die Komponenten, die man da verwendet, sind strukturell verwandt mit denen, die in der medizinischen Therapie eingesetzt werden, so daß sich durch diese Strukturverwandtschaft Resistenzgene ausgebreitet haben, aus den wirtschaftlichen Betrieben heraus, die zum Teil medizinische Antibiotika unwirksam gemacht haben

so Ellen Hoffmann, Biologin an der Universität Hohenheim. Werden somit Antibiotika zur Leistungssteigerung verfüttert, vermögen im Krankheitsfall medizinische Antibiotika nichts mehr auszurichten – eine gefährliche Entwicklung. Denn über die Nahrungskette gelangen die Antibiotika auch zum Menschen, der bei bestimmten Bakterienerkrankungen nicht mehr behandelt werden kann. Deshalb verbietet die Europäische Union bis zum Jahre 2006 alle leistungssteigernden Antibiotika in der Tierzucht, was unweigerlich für die europäischen Landwirtschaft zu Wettbewerbsnachteilen führen würde – wenn...ja wenn es da nicht das Projekt „Rumen-Up“ gäbe: Europaweit suchen Agrarwissenschaftler nach Alternativen zu den bisher verwendeten Antibiotika. Sie haben in einer ersten Phase 500 Pflanzen ins Visier genommen, die ebenfalls zu den gewünschten Leistungssteigerungen führen könnten. Professor Klaus Becker vom Institut für Tierproduktion an der Universität Hohenheim:

Die 500 verschiedenen Pflanzen, die wir aus den verschiedenen Ländern Europas, vor allen Dingen Irland, Schottland, England, Spanien und Deutschland zusammengetragen haben, sind keine typischen Kulturpflanzen, sondern sind Pflanzen, die zum Bereich der Zierpflanzen, der Strauch- und Baumvegetation gehören. Und aus diesen Pflanzen wollen wir diejenigen aussuchen, die aus unserer Richtung Wirkung zeigen, das heißt also, die in der Lage sind, diese typischen Wachstumsförderer in der Zukunft zu ersetzen.

In einer ersten Phase wurden die mikrobiologischen Auswirkungen dieser Pflanzen im Vormagen von Wiederkäuern getestet. Denn dort setzten auch die klassischen leistungssteigernden Antibiotika mit ihrer Wirkung an. Die Ergebnisse dieser ersten Testphase, die die Wissenschaftler auf dem Kongreß in Hohenheim vortrugen, klingen ermutigend. Professor Klaus Becker:

Wir haben aus 500 Proben ungefähr 15, 18 Proben ausgewählt, von denen wir erwarten, daß wir sie in Zukunft weiter entwickeln können.

Und das genau steht im Mittelpunkt der zweiten Phase von „Rumen-Up“: Aus den ausgewählten Proben, die hoffnungsvolle Ansätze zur Leistungssteigerung zeigen, soll nach einer weiteren Versuchsreihe eine noch engere Auswahl getroffen werden. Ellen Hoffmann:

Und der nächste Schritt wäre jetzt erst einmal, wo wir unterschiedliche Dosen der ausgewählten Pflanzen testen werden, um erst einmal die einzusetzenden Mengen zu optimieren. Und dann wollen wir weiterhin ‚in-vitro’, also mit den Mikroben zunächst einmal schauen: Wir wirkt der Stoff physiologisch, biochemisch, um dann, zum Schluß, im letzten Schritt, die ‚in vico’-Versuche am Tier zu machen.

Wenn alles klappt, werden die neuen Ersatzstoffe auf Pflanzenbasis bis in spätestens zwei Jahren entwickelt sein, rechtzeitig also bis zum EU-weiten Verbot der leistungssteigernden Antibiotika. Unklar ist allerdings, ob die Landwirte für die neuen Wirkstoffe mehr bezahlen müssen als für die vergleichbaren Antibiotika:

Es muss bezahlbar sein. Der Effekt, der damit erzielt wird, muß höher sein als die Kosten; das ist ganz klar.

Ebenso klar erscheint für Professor Klaus Becker auch die Prognose, daß sich durch die Entwicklung der neuen leistungssteigernden Wirkstoffe auf pflanzlicher Basis neue Perspektiven für die Landwirtschaft ergeben. Denn irgendwie müssen diese Wirkstoffe ja erzeugt werden.

Das muß man sich so vorstellen, daß die Landwirtschaft ein wenig diversifiziert wird in der Zukunft, daß Sie über Land fahren, und Sie sehen einen Acker, dessen Pflanzen sie im Moment nicht zuordnen können, weil das keine typische Kulturpflanze war. Das heißt also: Wir werden diese Pflanzen großflächiger in der Zukunft anbauen.

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